Landgericht Hamburg lehnt Antrag auf Verbot des Romans „Innerstädtischer Tod“ ab
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Drei Wochen haben sich die drei Richter der Zivilkammer 24 des Hamburger Landgerichts Zeit genommen, um einen Roman zu lesen. Es hat sich gelohnt. Nicht einmal vorrangig deshalb, weil „Innerstädtischer Tod“ von Christoph Peters ein höchst reizvolles literarisches Spiel entfaltet, indem es die Handlungsstruktur und Personenkonstellation von Wolfgang Koeppens 1953 erschienenem Roman „Tod in Rom“ in das Berlin des Jahres 2022 überträgt, sondern weil die richterliche Lektüre das erfreuliche Ergebnis zeitigte, dass auch alle anderen Interessierten den Roman weiter lesen können.
Denn heute hat die Zivilkammer ihre Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung gegen die Verbreitung des Romans verkündet: Er wird abgelehnt. Gestellt hatten ihn die Anwälte des Berliner Galeristenehepaars Johann und Lena König, die sich in zwei Figuren aus Peters’ Buch erkannt haben wollten. Ihr Antrag knüpfte an die berühmt-berüchtigte „Esra“-Entscheidung des Bundesverfassungsreichts von 2007 an, die ein von ebenjenem Hamburger Landgericht (das als besonders klägerfreundliche in solchen Fragen gilt) erlassenes Verbot des Romans „Esra“ wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten der ehemaligen Lebensgefährtin des Autors bestätigt hatte. Gegen diesen Antrag hatte der Luchterhand Literaturverlag, in dem „Innerstädtischer Tod“ erschienen war, eine Schutzschrift eingereicht.
Sie brachte gegen den Schutz des Persönlichkeitsrechts die grundgesetzlich garantierte Kunstfreiheit in Stellung. Und dieser Argumentation folgte nun das Hamburger Gericht. Die entscheidende Passage seines Ablehnungsbescheids lautet: „Zwar geht die Kammer davon aus, dass beide Antragsteller aufgrund der in der Antragsschrift geschilderten Übereinstimmungen zwischen den Antragstellern und den Romanfiguren Konrad und Eva-Kristin Raspe jedenfalls für einen Teil des Leserkreises erkennbar sind. Allein dies reicht indes für die Annahme einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht aus. Die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten der Antragsteller und der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG fällt zugunsten der Antragsgegnerin als Verlegerin des streitgegenständlichen Werks aus.“ Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller.
Gleichwohl ist damit zu rechnen, dass die Königs Beschwerde gegen die Entscheidung beim zuständigen Oberlandesgericht einreichen wird. Dabei haben sie sich mit dem ursprünglichen Antrag einen Bärendienst erwiesen. Der Fall fand breite mediale Beachtung und „Innerstädtischer Tod“ in den vergangenen drei Wochen so viele Käufer wie zuvor in den gesamten fünf Monaten seit seinem Erscheinen nicht. Käme es zur Beschwerde, würde der Fall dann in öffentlicher Verhandlung ausgetragen, und die Argumente bei der Abwägung von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht könnten allgemein gewürdigt werden.
Seitens Luchterhands war schon vor dem Gerichtsbeschluss mitgeteilt worden, dass man im Falle eines Romanverbots notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen werde. Die erste Runde hat der Verlag gewonnen; ob und wann es eine zweite geben wird, werden wir wohl wieder erst in einigen Wochen erfahren. Käme es dazu, dann würden weitere Richter „Innerstädtischer Tod“ lesen. Und sicher auch ein noch größeres Publikum. Auch so kommt gute Literatur unter die Leute.
Frankfurter Allgemeine Zeitung